Zellfrisch Podcast - Nina Ruge im Gespräch mit Katja Simon, Professorin für Immunologie an der Universität Oxford

Zellfrisch Podcast – Folge 8

Altersschwache Abwehrkräfte? Wie unser Immunsystem funktioniert

Nina Ruge im Gespräch mit Katja Simon, Professorin für Immunologie an der Universität Oxford

Zellfrisch Podcast - Nina Ruge im Gespräch mit Schauspielerin/Produzentin Veronica Ferres und Fastenexperte Professor Dr. Andreas Michalsen

Zellfrisch Podcast – Folge 8

Altersschwache Abwehrkräfte? Wie unser Immunsystem funktioniert

Nina Ruge im Gespräch mit Katja Simon, Professorin für Immunologie an der Universität Oxford

Die Köpfe dahinter

NINA RUGE

Moderatorin Nina Ruge ist Wissenschaftsjournalisten, Biologin und Buchautorin. In ihrem aktuellen Buch „Altern wird heilbar: Jung bleiben mit der Kraft der drei Zellkompetenzen“ beleuchtet sie gemeinsam mit dem Zellforscher Dr. Dominik Duscher Alterungsprozesse im Körper, altersbedingte Erkrankungen und wie wir solche Prozesse aufhalten können. In diesem Podcast möchte sie herausfinden, was hilft, die Zellen gesund zu halten, welche Rolle die Zellgesundheit spielt und welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse es hierzu gibt.

Nina Ruge: Wir starten in eine neue Staffel unseres Podcasts „Zellfrisch“: willkommen! Ich möchte Ihnen in sechs Folgen einiges präsentieren, was für Sie, für Ihre Zellgesundheit und damit für Ihre Rundum-Gesundheit elementar wichtig ist. Wir erkunden also die Wurzeln dessen, was uns fit hält – und die liegen im Zellstoffwechsel unserer Aberbillionen Zellen. Und wenn wir dann verstehen, was dort geschieht – und das ist unfassbar spannend – dann wird uns auch klar, was wir tun können, um unsere Zellgesundheit zu stärken.

Also steigen wir ein mit dem Gesundheitsthema schlechthin, mit unserem Immunsystem. Schließlich ist es unser Immunsystem, das eine Covid-19-Erkrankung relativ locker abschmettern kann oder auch vor dem Virus kapituliert. Was passiert da in unseren Immunzellen? Was schwächt sie? Was macht sie stark? Heute erfahren wir Wesentliches darüber, wieso besonders ältere Menschen dem Virus oft so schutzlos ausgeliefert zu sein scheinen. Was also in unseren Immunzellen mit den Jahren geschieht. Die Immunabwehr wird schwächer, das ist keine Frage. Aber wieso ist das so? Genau dem ist sie auf der Spur.

Sie ist eine der Topwissenschaftlerinnen auf diesem Gebiet. Seit fast 30 Jahren ist das Wunder unserer Immunabwehr ihr Thema und deren Versagen erforscht sie auch.

KATJA SIMON

Katja Simon ist Professorin für Immunologie an der Universität in Oxford. Sie ist eine der Topwissenschaftlerinnen, wenn es um die Autophagie, also die Zellerneuerung geht. Außerdem befasst sie sich mit den Alterungsprozessen in unseren Zellen.

Nina Ruge: Herzlichen Dank, Frau Professor Simon, dass Sie bei Zellfrisch dabei sind. Schön, dass Sie da sind.

Katja Simon: Hallo, Frau Ruge!

Ungekürztes Manuskript

Nina Ruge: In diesen Covid-Zeiten ist ja Ihre Forschung so wichtig und gefragt wie noch nie. Heißt das auch, Sie sind genauso wichtig und gefragt wie noch nie für Interviews?

Katja Simon: Ja, ich gebe einige Interviews. Ich gebe allerdings die meisten Interviews auf Englisch. Also verzeihen Sie mir bitte, wenn mein Deutsch heute nicht ganz so gut ist, wie es sein könnte. Meine Vorträge sind natürlich oft bei wissenschaftlichen Konferenzen. Manchmal trage ich auch zu Artikeln in Zeitschriften bei, die nicht wissenschaftlich sind und im Radio und Fernsehen.

Nina Ruge: Eine der Topexpertinnen auf diesem Gebiet. Hat Ihnen diese intensive Forschung über Covid-19-Infektionen eigentlich auch nochmal einen Erkenntnis-Schub gegeben?

 

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Mehr über die Immunantwort auf Viren erfahren als in den letzten 20 Jahren

Katja Simon: Ja, ganz bestimmt. Denn die Forschung an den Immunantworten gegen das Corona-Virus hat ja wirklich weltweit in jedem Immunologielabor stattgefunden. Und dadurch haben wir eigentlich mehr über diesen Virus erfahren als über je einen anderen Virus. Und diesen Erkenntnisstand können wir jetzt auch übertragen auf andere Viren. In diesem Jahr hat sich das, was wir über die Immunantwort auf Viren wissen, wirklich sehr verbessert. Das ist wirklich unglaublich – vielleicht sogar im Gegensatz zu den letzten 20 Jahren.

Nina Ruge: Ja dann gleich „Butter bei die Fische“. Zu wieviel Prozent schützt denn eigentlich jetzt eine Covid-19-Impfung vor einer Infektion? Sind da sämtliche Impfstoffe gleich auf? Es heißt doch immer mRNA-Impfstoffe würden ein bisschen besser schützen.

Katja Simon: Also das kann ich jetzt natürlich nicht beantworten, wo ich gerade aus Oxford komme und neben dem Oxford-Vakzin-Institut arbeite und das meine Kollegen sind. Aber natürlich zeigen die Zahlen, dass der Messenger-RNA-Impfstoff besser funktioniert, nicht wesentlich besser, aber relativ besser funktioniert als das Oxford-AstraZeneca-Vakzin. Aber die Zahlen sind so wenig unterschiedlich, dass es keinen großen Unterschied macht, ob man nun mit dem einen oder anderen Impfstoff geimpft ist. Wichtig ist, dass alle Leute geimpft werden.

Nina Ruge: Sie sind selbst einmal geimpft. Ihre Erfahrung?

Katja Simon: Ja. Ich bin einmal geimpft und werde am Samstag zum zweiten Mal geimpft. Diese Impfung der ganzen Nation heißt bei uns National Rollout. Aber ich habe mich auch im April letzten Jahres schon als Freiwillige auf die klinische Studie beworben, um mich mit dem Oxford-Impfstoff impfen zu lassen. Leider war ich im Placebo-Teil der Studie. Das hat sich jetzt herausgestellt bei der Entblindung. Das hat mich zwar geärgert, aber trotzdem war ich froh, dass ich ein bisschen zur Entwicklung dieses Impfstoffes beitragen konnte.

Nina Ruge: Ja, da müssen Sie noch das zweite Mal geimpft werden. Sie haben AstraZeneca bekommen. Ich bin jetzt zum zweiten Mal geimpft worden mit einem mRNA-Impfstoff, mit Moderna, und mich hat es beim zweiten Mal echt ziemlich hingehauen. Ich hatte richtig starke Grippeeffekte. Woran liegt das?

Katja Simon: Ja, das ist erstaunlich, dass der AstraZeneca beim ersten Mal ziemlich stark ist und einen komischerweise der Messenger-RNA-Impfstoff beim zweiten Mal umhaut. Das erstaunt mich auch. Woran es liegt ist, dass der Impfstoff eigentlich eine normale Immunantwort nachahmt. Die erste Immunantwort kommt von der angeborenen Immunantwort. Das ist auch im Impfstoff vorhanden. Das nennt man das sogenannte Adjuvanz. Es zeigt einfach mal dem Körper, dass da etwas Fremdes in den Körper gelangt ist und eine Immunantwort gestartet werden muss. Das findet in den ersten 24 bis 48 Stunden statt. Diese Antwort führt eben zu Fieber, Schüttelfrost, Muskelschmerzen und so weiter. Man denkt, dass diese erste Immunantwort wichtig ist, um dann die erworbene Immunität hervorzurufen. Und ich kann darüber noch ein bisschen später was erklären. Aber das ist ganz wichtig, dass das eigentlich genauso ist, wie wenn man eine virale Infektion hat.

Nina Ruge: Und das heißt, wenn ich jetzt starke Wirkungen habe, dann ist das auch ein Zeichen dafür, dass ich viele Antikörper entwickle?

Katja Simon: Ich habe die Publikationen nicht im Detail gelesen, aber ich habe gehört, dass es bei Kindern anscheinend wichtig ist, dass man diese erste Antwort nicht unterdrückt, damit die zweite Antwort, eben die Antikörper, gut produziert werden.

Die Impfung gegen das Corona-Virus wirkt bei Jüngeren und Älteren fast gleich gut

Nina Ruge: Es heißt ja, dass Grippeimpfungen – ich hab mich immer jedes Jahr brav impfen lassen, hab auch trotzdem immer mal eine Grippe bekommen. Stimmt es eigentlich, dass der Schutz einer Covid-Impfung besser ist als der einer Grippeimpfung?

Katja Simon: Das kommt darauf an, wie alt Sie sind.

Nina Ruge: Aha.

Katja Simon: Also es ist ja bekannt, dass die Grippeimpfung – oder Influenza sagen wir lieber, weil „Grippe“ ja nicht ganz so präzise ist – dass diese Grippeimpfung bei älteren Leuten nicht so gut funktioniert. Das fängt erst so ab 65 an und wenn ich Sie angucke, dann ist das bei Ihnen noch nicht der Fall. Ab 65 ist die Grippeimpfung im Durchschnitt 30 % weniger gut als bei jüngeren Menschen, während die Corona-Virus-Impfung tatsächlich gezeigt hat, dass sie fast genauso gut ist bei älteren Menschen wie bei jüngeren.

Nina Ruge: Das ist ja hochinteressant. Und jetzt komme ich nochmal zu meiner Frage vom Beginn zurück: Kann man denn sagen, zu wieviel Prozent man wirklich geschützt ist, wenn man so eine Impfung gegen Corona erhält?

Katja Simon: Also jetzt, nachdem so viele Leute geimpft worden sind, durch diese Feldstudien sozusagen, hat man genau festgestellt, wie gut sie sind. Die Zahlen haben wir ja gehört: Bei Messenger-RNA ist es bis 95 % und bei AstraZeneca, das Oxford-Vakzin, ein bisschen weniger. In diesen Feldstudien kann man sehen, wie viele Leute sich infizieren in der Kontrollgruppe gegenüber der anderen Gruppe und dadurch kann man es ausrechnen. Ganz eindeutig. Man kann natürlich auch Immunantworten messen, die natürlich weniger eindeutig zeigen, ob man geschützt ist oder nicht, aber die sehr quantitativ sind.

Nina Ruge: Kann man sich denn, wenn man die Immunabwehr aufgebaut hat, trotzdem noch infizieren? Das hab ich immer wieder mal gelesen. Aber man merkt nichts davon.

Katja Simon: Ja, das ist ganz interessant. Das wussten wir vorher auch nicht, weil das in dieser Pandemie zum ersten Mal so richtig bearbeitet worden ist. Nämlich dass man, wenn man geimpft ist, tatsächlich nochmal infiziert werden kann, aber man es nicht merkt. Man hat keine Symptome mehr. Das Immunsystem ist ja jetzt vorbereitet auf diese zweite Infektion und hat sich die Immunantwort vom ersten Mal durch die Impfung gemerkt. Deswegen kann man sich zwar infizieren, aber wahrscheinlich ist es so, dass man nur niedrige Virus-Titer hat, das heißt solche Konzentrationen des Virus, dass man es nicht an andere weitergeben kann. Also insofern ist die Impfung der ganzen Bevölkerung total wichtig, weil es nicht nur den schützt, der sich infiziert, sondern man schützt auch die Bevölkerung insgesamt, weil das Virus durch eine Impfung eben nicht weitergegeben werden kann. Das wussten wir vorher auch nicht, dass man immer noch den Virus feststellen kann. Es liegt daran, dass wir jetzt Millionen von Leuten getestet haben, ob sie den Virus trotz Impfung noch haben.

Nina Ruge: Da kann man dann wirklich sagen, wenn dieses Virus doch nochmal bei einem Geimpften zu einer Infektion führt, ist der aber zu 100 % nicht ansteckend?

Katja Simon: Also „zu 100 % nicht ansteckend“, dazu würde ich als Wissenschaftlerin nicht ja sagen. Ich glaube, was man gefunden ist, dass man zu 50 % weniger ansteckend ist.

Nina Ruge: Zu 50 %. Das ist aber eine interessante Zahl. Dass die Geimpften anstecken können. Sprich: Es ist nochmal ein Argument sich impfen zu lassen.

Katja Simon: Ganz genau.

Nina Ruge: Obwohl ich nichts davon merke, kann ich Träger des Virus sein und zu 50 % ansteckend.

Katja Simon: Wenn es mehr Geimpfte gibt, gibt’s auch weniger Virus, ganz allgemein. Es ist aber so, dass es nicht hundertprozentig ist, das ist klar.

Nina Ruge: Vielleicht können Sie uns kurz an dieser Stelle für Laien verständlich erklären, wie eigentlich ein Impfschutz im Körper auf Zellebene aufgebaut wird.

Angeborene und erworbene Selbstverteidigung: Fresszellen, T-Zellen und B-Zellen

Katja Simon: Die erste Antwort ist aufgebaut auf die angeborene Immunität. Sie wird durch Makrophagen, Neutrophile oder dendritische Zellen hervorgerufen. Sie können das Bakterium oder das Virus oder den Fremdkörper als Fremdkörper erkennen und schütten dann lösliche Stoffe aus. Die nennen wir Zytokine. Diese Zytokine können dann Zellen zum Ort der Infektion herbeirufen. Die werden dann aktiviert. Diese Zellen gehören zum erworbenen Immunsystem und heißen T- und B-Zellen. Die B-Zellen schütten Antikörper aus und die T-Zellen helfen den B-Zellen Antikörper auszuschütten. Aber die T-Zellen können auch selber virusinfizierte Zellen abtöten. Also wir haben zwei Arme in dieser erworbenen Immunität.

Nina Ruge: Und die sind sozusagen auch das Gedächtnis, der Impfschutz, dass das Virus so schnell erkannt wird, wenn tatsächlich eine Infektion stattfindet und möglichst ganz, ganz schnell auch die Antikörper gebildet werden?

Katja Simon: Genau, die können dann zum Teil den Virus direkt abwehren in der ersten Infektion. Und die besten Zellen, diejenigen, die den Virus am besten erkennen… Diese Erkennung wird durch Veränderung des genetischen Materials der Zelle besser gemacht. Die besten Zellen werden selektiert. Die besten Zellen werden dann für immer im Knochenmark oder in der Milz abgelagert und bei einer zweiten Infektion wieder hervorgerufen und zum Infektionsort herangelockt. Im Knochenmark oder in der Milz leben sie über Jahrzehnte oder so lange, bis wir wieder den Virus sehen. Das kann auch erst wieder in 20, 30 Jahren sein.

Nina Ruge: Fantastisch. Aber das würde ja bedeuten, dass eine Impfung lebenslang immunisiert.

Katja Simon: Ja, wenn sich die Zellen so lange halten. Das wissen wir bei diesen neuen Plattformen, also Messenger-RNA- und auch Adenovirus-, der AstraZeneca-Impfstoff, eben noch nicht so genau. Wie lange hält sich das? Wie lange ist das Gedächtnis dieser Zellen? Wie lange halten sich die Zellen, wie viele haben wir davon produziert, um sie im Knochenmark abzulagern? Es ist nicht bekannt. Das wissen wir halt noch nicht, weil wir erst seit einem Jahr impfen.

Nina Ruge: Haben Sie eine Vermutung?

Katja Simon: Ich nehme an, weil wir wirklich noch nicht so viele Überraschungen erlebt haben in dieser Pandemie, dass diese Infektion und auch die Impfstoffe alle wie normal zu funktionieren scheinen. Ich sehe keinen Grund, warum sich diese Gedächtniszellen nicht lange halten können. Aber Sie wissen ja zum Beispiel, dass man die Tetanusimpfung auch alle 10 Jahre erneuern muss. Also bei manchen Impfstoffen ist es halt so, dass man erneuern muss. Bei der Grippeimpfung geht es nicht um das Gedächtnis, sondern da geht es darum, dass der Influenza-Virus so schnell mutiert, dass er von einem Jahr zum nächsten immer anders aussieht. Die Gedächtniszellen, die wir vom letzten Jahr haben, funktionieren nächstes Jahr nicht mehr. Es liegt aber nicht daran, dass die Zellen nicht überleben.

Nina Ruge: Dann müssen wir natürlich nach den Covid-Mutanten fragen. Indien ist ja der Horror, aber auch Brasilien, auch jetzt Afrika. Was weiß man darüber, ob der Impfschutz auch gegen die wirkt?

Katja Simon: Also zur brasilianischen und südafrikanischen Variante wissen wir schon eine ganze Menge. Wir wissen z. B., dass die Antikörper zum Teil nicht mehr so gut funktionieren, wie wenn wir jetzt mit der normalen Variante aus Wuhan oder auch der Kent-Variante impfen. Und zwar kann das zum Teil zehnmal schlechtere Antikörper-Titer geben zu dieser neuen Variante. Zum Glück ruft der Impfstoff T-Zellen und B-Zellen hervor und wie die T-Zellen auf die neuen Varianten reagieren, dazu haben wir noch nicht wirklich die besten Forschungsergebnisse. Aber es sieht so aus, als ob die T-Zellen uns vielleicht retten können. Zur indischen Variante wissen wir noch gar nichts. Da war ich gerade letzte Woche hier in Oxford im Seminar mit all den Immunologen und selbst die haben auch noch nicht geguckt. Es ist noch zu früh. Es dauerte eine Weile, bis man diese Experimente mit den neuen Varianten gemacht hat. In den Nachrichten hab ich gehört, dass die Transmission nicht ganz so schlimm ist, wie wir erwartet hatten.

Die Virus-Waffen werden stumpf: die meisten Varianten kennen wir jetzt

Nina Ruge: Okay, hoffen wir also sehr, dass uns die Impfung zumindest ein Gutteil vor diesen Mutanten schützt. Denn es wird noch viel mehr geben, weil so viele Milliarden Menschen ja noch gar nicht geimpft sind.

Katja Simon: Ja. Aber die gute Nachricht dabei ist vielleicht, dass der Virus jetzt schon fast alle Mutationen ausgeschöpft hat.

Nina Ruge: Das kann man abschätzen, wieviel Chancen es hat? Das Grippevirus kann viel mehr mutieren als das Covid-Virus?

Katja Simon: Genau. Der Virus kann ja auch nicht so viel mutieren, dass er selber nicht mehr fit ist. Also hat er nur bestimmte Gelegenheiten, bestimmte Möglichkeiten in seinem Genom zu mutieren. Und die treten ja interessanterweise überall in der Welt spontan auf. Also wir finden den südafrikanischen Virus nicht in Indien und in England wieder, weil er immer von südafrikanischen Reisenden importiert worden ist, sondern weil in jedem dieser Länder diese Mutation spontan aufgetreten ist. Daher wissen wir auch ungefähr, dass immer wieder dieselben Mutationen auftreten und dass nicht mehr so viele neue dazugekommen sind.

Nina Ruge: Oh, seine Waffen werden stumpf, das finden wir gut! Kommen wir zu dem Thema, das für uns ganz besonders wichtig ist: ältere Menschen. Sie haben ja gesagt, die Impfung scheint ältere Menschen genauso gut zu schützen wie jüngere. Wieso sind dann ältere Menschen für einen schweren Covid-19-Verlauf empfänglicher als junge?

Katja Simon: Der Krankheitsablauf eines älteren Menschen und die Impfung eines älteren Menschen ist vielleicht nicht zu vergleichen. Der Impfstoff gibt einem ja nur ein Protein des Virus, nämlich das Spike-Protein. Aber bei der Krankheit wird man natürlich mit dem ganzen Virus infiziert und der hat viele Waffen und vieles, was der Impfstoff nicht hat. Es kann also sein, dass der Impfstoff bei alten Leuten gut funktioniert, aber das heißt nicht automatisch, dass der Krankheitsablauf bei Älteren gleich ist. Warum der Krankheitsablauf bei älteren Leuten schlimmer ist, liegt an mehreren Sachen. Es ist jetzt gezeigt worden, dass es um Immunpathologie geht. Das Immunsystem reagiert in der kritischen Phase des Krankheitsverlauf über, nämlich mit Entzündungen. Viele Zellen treten in die Lunge ein und schaffen dort Entzündungen. Deswegen geht es den Menschen dann so schlecht. Es liegt gar nicht mehr am Virus und der Virusinfektion in der Lunge, sondern eben an dieser Überreaktion des Immunsystems.

Nina Ruge: Ein Überschießen des Immunsystems. Ist das auch die Ursache dafür, dass manche eben mit monatelangen schweren Beeinträchtigungen kämpfen müssen, wenn sie infiziert sind?

Long Covid lauert bei Jung und Alt

Katja Simon: Auch da ist noch nicht wirklich viel bekannt und ich bin auch keine Expertin auf dem Gebiet. Was ich gelesen habe, ist dass der Krankheitsverlauf Long Covid sowohl bei alten als auch bei jungen Menschen auftritt. Das liegt vielleicht daran, dass der Virus sich chronisch festgesetzt hat und das Immunsystem ihn nicht abwehren konnte. Man weiß nicht, warum das bei manchen Menschen mehr ist als bei anderen, aber es gibt viele Leute, die viele Nachwirkungen haben. Auch Leute, die nicht tatsächlich Long Covid haben, aber Muskelschmerzen haben oder Herzschmerzen oder Lungenschmerzen. Wir wissen noch ganz, ganz wenig darüber. Am Anfang haben wir auch fast gar keine Forschung dazu gemacht. Jetzt sind die ersten Förderungen zu Long Covid gekommen und es wurde angefangen es zu erforschen. Es gibt sogar einzelne anekdotische Fälle, die gezeigt haben, dass eine Impfung diesen Menschen hilft. Als ob der Virus selber etwas inhibiert. Wenn man den Leuten die Impfungen gibt und diesen Virus nochmal auf eine andere Art und Weise präsentiert, dass sie dann tatsächlich mit einer richtigen Immunantwort darauf antworten können. Das ist aber noch nicht publiziert und anekdotisch. Es ist nicht sicher, ob es stimmt.

Nina Ruge: Super spannend. Die Immunoseneszenz, also das Altern und Schwächerwerden des Immunsystems bei älteren Menschen, das ist ja gut untersucht. Und Sie sind da eine Spezialistin. Vielleicht können Sie uns erklären, wiederum mit einfachen Worten, woran es liegt, dass unser Immunsystem mit den Jahren schwächelt.

Im Alter mehr Entzündung + weniger Immunabwehr = Inflammaging

Katja Simon: Also, die Zellen der angeborenen Immunität – wie ich schon erwähnt hatte, Makrophagen, Neutrophile, dendritische Zellen – da findet man komischerweise eine höhere Anzahl bei älteren Menschen. Aber die Funktion dieser Zellen ist abgeschwächt mit dem Alter. Während die erworbene Immunität, die T- und B-Zellen, deren Anzahl nimmt ab und auch deren Funktion nimmt ab. Vor allen Dingen nehmen die Gedächtniszellen ab, also die Zellen, die sich im Knochenmark abgelagerten haben, um sich später bei einer erneuten Infektion wieder an die alte Infektion zu erinnern. Diese Kombination ist besonders schlimm, weil die angeborene Immunität durch diese Entzündungszellen erfolgt. Das führt zu einem „Inflammaging“, also Inflammation-Aging.

Nina Ruge: Und das ist vielleicht auch die Ursache, weshalb ältere Menschen häufig mit Infektionskrankheiten wie Grippe et cetera sehr viel länger kämpfen als jüngere?

Katja Simon: Ja, ganz eindeutig. Es geht um das ganze Blutsystem. Ältere bluten auch länger und haben oft Anämie, also weniger rote Blutkörperchen. Das ganze Blutsystem verschlechtert sich. Und was ich dazu noch sagen sollte ist vielleicht, dass unser Blutsystem im Knochenmark hergestellt wird, aber die T-Zellen insbesondere laufen durch ein Organ, wo sie „erzogen“ werden und lernen Selbst oder Nichtselbst zu erkennen. Dieses Organ, der Thymus, geht schon in jungen Jahren zurück und verschwindet. Das heißt, die T-Zellen, die wir im Körper haben, tragen wir schon – wenn man so alt ist wie ich – 40 Jahre mit uns herum. Und wenn man dann neue, immer wieder neue Infektionen sieht, kann man sich vorstellen, dass dieser Pool an T-Zellen, den wir haben, vielleicht nicht reicht.

Nina Ruge: Und dieser Thymus, manche sagen Drüse dazu, liegt am Brustbein. Also ab 60 haben wir überhaupt gar keinen Thymus mehr. Das heißt also, es werden überhaupt keine T-Zellen mehr vom Thymus erzogen?

Katja Simon: Genau. Wir müssen uns dann auf die T-Zellen verlassen, die wir schon haben. Bei HIV-Erkrankten hat man gezeigt, dass wenn wirklich gar keine T-Zellen mehr da sind, weil der HI-Virus die T-Zellen infiziert und damit umbringt, kann der Thymus trotzdem noch einige T-Zellen rauslassen, geht also nicht ganz weg. Aber die Zahl der T-Zellen, die dann aus dem Thymus kommen, ist schon sehr, sehr niedrig.

Das Immunsystem muss ständig chronische Infektionen in Schach halten

Nina Ruge: Die Immunabwehr älterer Leute wird auch noch dadurch weiter geschwächt, dass fast jeder von uns ja ständig Viren im Körper in Schach halten muss. Also wie beispielsweise Herpes-Viren, die bei uns Zellen gekapert haben oder auch das Eppstein-Barr-Virus, verantwortlich für das Pfeiffersche Drüsenfieber. Welche Rolle spielt das?

Katja Simon: Auch das ist noch ein bisschen umstritten. Aber es ist tatsächlich so, dass vielleicht die Hälfte unserer ganzen T-Zellen diese chronischen Viren in Schach halten müssen. Und dann kann man sich vorstellen, dass nicht mehr viel übrig bleibt für neue Infektionen.

Nina Ruge: Ja und wir können bisher gegen diese Herpes-Viren oder das Eppstein-Barr-Virus nichts tun. Wenn sie erst mal im Körper sind, bleiben sie da.

Katja Simon: Ja. Und 90 % der Menschen in Europa haben diese Infektionen chronisch. Die führen manchmal natürlich auch im Alltag wieder zu neuen symptomatischen Erkrankungen.

Immunsystem verjüngen. vielversprechende Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel

Nina Ruge: Also, das sind jetzt nicht so schöne Aussichten, wenn man älter wird. Das Immunsystem wird schwächer, die T-Zellen werden nicht mehr gebildet. Wir haben nicht mehr genügend frische T-Zellen, die bei neuen Infektionen zu Gedächtniszellen werden können. Das ist jetzt alles ein bisschen frustrierend. Sie forschen ja aber nun genau an diesem Thema. Gibt’s ein Licht am Horizont? Ich fürchte, wir werden es in dieser Folge des Podcasts jetzt nicht mehr diskutieren können. Aber wir haben sie in der nächsten Folge ja nochmal dabei, Frau Professor Simon, gibt es Forschungsergebnisse, die uns Mut machen können, was das Stärken des Immunsystems angeht?

Katja Simon: In letzter Zeit, jetzt wo auch die Altersforschung an anderen Zellen und an allen Zellen im Körper sehr fortgeschritten ist, haben wir tatsächlich schon ein paar Medikamente gefunden, die alte Zellen wieder verjüngen können oder zumindest das Altern aufhalten können. Dazu gehören natürlich auch alternde Immunzellen. Wir und andere sind dabei zu verstehen, wie man das Immunsystem wieder verjüngen kann oder zumindest nicht mehr altern lassen kann.

Nina Ruge: Frau Professor Simon, auf Englisch: „You made our day!“ Vielen Dank, das macht uns hoffnungsfroh. Und darüber wollen wir jetzt natürlich noch ganz, ganz viel erfahren. Ihre Forschungsergebnisse über Medikamente oder auch Nahrungsergänzungsmittel, denke ich, die unsere Zellen verjüngen könnten. Nicht nur unsere Immunzellen, aber eben auch unsere Immunzellen. Das werden wir hoffentlich in aller Ausführlichkeit von Frau Professor Simon in einem Monat in der nächsten Ausgabe von Zellfrisch erfahren. Vielen, vielen Dank, Frau Professor Simon, nach Oxford und Ihnen eine gute zweite Impfung!

Katja Simon: Dankeschön. Vielen Dank. Auf Wiedersehen.

Nina Ruge: Ja, das war Zellfrisch, der Podcast für unsere Zellgesundheit. Die nächste Folge also im kommenden Monat. Alles Gute. Wir hören uns wieder.

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