Zellfrisch Podcast – Folge 10
Nahrungsergänzungsmittel – statt viel hilft viel lieber: genug vom Richtigen!
Nina Ruge im Gespräch mit Manfred Schubert-Zsilavecz, Professor für Pharmazeutische Chemie und wissenschaftlichen Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker
Zellfrisch Podcast – Folge 10
Nahrungsergänzungsmittel – statt viel hilft viel lieber: genug vom Richtigen!
Nina Ruge im Gespräch mit Manfred Schubert-Zsilavecz, Professor für Pharmazeutische Chemie und wissenschaftlichen Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker
Die Köpfe dahinter
NINA RUGE
Moderatorin Nina Ruge ist Wissenschaftsjournalisten, Biologin und Buchautorin. In ihrem aktuellen Buch „Altern wird heilbar: Jung bleiben mit der Kraft der drei Zellkompetenzen“ beleuchtet sie gemeinsam mit dem Zellforscher Dr. Dominik Duscher Alterungsprozesse im Körper, altersbedingte Erkrankungen und wie wir solche Prozesse aufhalten können. In diesem Podcast möchte sie herausfinden, was hilft, die Zellen gesund zu halten, welche Rolle die Zellgesundheit spielt und welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse es hierzu gibt.
Nina Ruge: Herzlich willkommen bei Zellfrisch. Heute feiern wir ein kleines Jubiläum: die zehnte Folge unseres Podcasts und die dritte Folge der aktuellen Staffel. Zellfrisch – das heißt, wir beschäftigen uns mit der Zellgesundheit, also mit allem, was uns dabei hilft, möglichst lange gesund und fit zu bleiben. Hier spielt natürlich unser heutiges Thema Nahrungsergänzungsmittel eine große Rolle. Oder zweifeln Sie etwa daran? Von manchen Experten hört man, die meisten Nahrungsergänzungsmittel brächten nichts, das sei reine Geschäftemacherei. Das werden wir gleich diskutieren. Und wenn man sich für Nahrungsergänzungsmittel entscheidet, wo kauft man sie am besten? In Supermärkten, Drogerien, Apotheken oder im Internet? Und gelangen die Wirkstoffe überhaupt eins zu eins in unseren Körper? Oder wird jede Menge einfach wieder ausgeschieden? Kann man auch überdosieren mit gravierenden Folgen? Zu all diesen Fragen wird uns jetzt ein Top-Experte Rede und Antwort stehen. Hier ist er:
PROF. DR. MANFRED SCHUBERT-ZSILAVECZ
Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz ist Professor für Pharmazeutische Chemie und seit 2009 Vizepräsident der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Zudem ist er wissenschaftlicher Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesapothekerkammer.
Ungekürztes Manuskript
Nina Ruge: So, herzlich willkommen, Herr Professor Schubert-Zsilavecz in Frankfurt! Hallo!
Prof. Schubert-Zsilavecz: Grüß Sie, liebe Frau Ruge!
Nina Ruge: Lassen Sie uns doch kurz mal definieren, worüber wir überhaupt sprechen. Nahrungsergänzungsmittel, das ist ja laut Definition ein Lebensmittelkonzentrat und das darf nicht in den natürlichen Stoffwechsel eingreifen. Wenn wir jetzt das Beispiel Koenzym Q10 nehmen, ist das denn ein Nahrungsmittelkonzentrat?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, Sie haben eigentlich schon eine sehr gute Antwort gegeben, was Nahrungsergänzungsmittel sind. Die haben nämlich immer einen starken Bezug oder müssen einen starken Bezug zu unseren Nahrungsmitteln haben. Anders als beispielsweise bei Arzneimitteln. Das unterscheidet die beiden Gruppen sehr stark – Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel.
Nina Ruge: Okay, verstanden. Über 6.000 Nahrungsergänzungsmittel wurden allein im letzten Jahr in Deutschland registriert. Würden Sie uns da bitte einen kleinen Überblick geben? Welche Stoffklassen gehören überhaupt dazu?
Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe
Prof. Schubert-Zsilavecz: Also wir haben in der Tat eine fast unüberschaubare Anzahl von Nahrungsergänzungsmittel mittlerweile am Markt, was unter anderem auch daran liegt, dass der Zugang relativ einfach ist. Anders als bei Arzneimitteln, die ja zugelassen werden müssen nach entsprechenden Prüfungen. In der Tat gibt es hier eine große Produktpalette unterschiedlicher Nahrungsergänzungsmittel bzw. Nahrungsergänzungsmittel-Inhaltsstoffe, wenn ich das so sagen darf. Dazu zählen beispielsweise Vitalstoffe. Da können wir uns gut vorstellen, dass da Vitamine dazugehören; da gehören Mineralstoffe dazu. Aber Nahrungsergänzungsmittel können auch andere Dinge enthalten, wie beispielsweise Pflanzeninhaltsstoffe, sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die dann Teil von Nahrungsergänzungsmitteln sind.
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Nina Ruge: Das wäre zum Beispiel das berühmte Kurkuma, gell? Oder das Resveratrol, das ja auch sehr berühmt geworden ist, also der Inhaltsstoff der Weintraube etc. Aber jetzt nehmen ja in Deutschland 39 Prozent der Frauen und 29 Prozent der Männer regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel ein. Darf ich mal fragen, was Sie als Experte – als Top-Experte –selber einnehmen?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Also, aktuell nehme ich kein Nahrungsergänzungsmittel zu mir. Ich versuche mich vernünftig zu ernähren und glaube, dass ich das aktuell nicht brauche. Es gibt allerdings Zeiten, wo ich dann gelegentlich zu einem Nahrungsergänzungsmittel greife. Und da richtet sich mein Blick immer auf das Vitamin D, weil ich persönlich das Gefühl habe, dass ich in den Winterwochen und -monaten sehr viel im Büro bin, wenig im Freien, wenig der Sonne ausgesetzt bin und deshalb glaube, dass ich mit Vitamin D unterversorgt bin. Dann versuche ich beispielsweise, über Nahrungsergänzungsmittel einen Ausgleich zu schaffen.
Sich 3 Fragen stellen: Brauche ich Nahrungsergänzungsmittel? Wann braucht ich sie? welche brauche ich?
Nina Ruge: Aber das hieße ja, dass das, was ich eingangs erwähnt habe, also die vielen, vielen Nahrungsergänzungsmittel, die sich auf dem Markt tummeln, das ist also reine Geschäftemacherei. Man braucht, wenn man sich vernünftig ernährt, überhaupt gar keinen Mangel zu befürchten?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ich glaube, wir brauchen hier einen differenzierten Blick. Es ist absolut wichtig und richtig, immer die Fragen zu stellen: Braucht man Nahrungsergänzungsmittel? Wann braucht man sie? Und welche braucht man? Ich würde sie nicht grundsätzlich sozusagen verdammen. Das wäre völlig falsch und auch unangemessen. Wir brauchen nur einen Blick zu richten auf die Ernährungsgewohnheiten der Menschen, auch in Europa, auch in Deutschland, um festzustellen: Wir haben zwar auf der einen Seite ein Überangebot an vielen Dinge, aber gleichzeitig ernähren sich Menschen oftmals sehr einseitig. Ich sage, manchmal sogar auch falsch, und dann erscheint der Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln sehr sinnvoll zu sein.
Nina Ruge: Das müssen wir natürlich genauer betrachten. Wann würden Sie sagen, läuft jemand in eine Mangelversorgung, also mit welcher Ernährung?
Gute Gründe für wenig Fleisch und Vorsicht bei Junk-Food
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, da gibt es sicherlich mehrere Beispiele, die man hier aufführen kann. Ein Klassiker ist natürlich, wenn sich Menschen, insbesondere auch junge Menschen, fleischlos ernähren, ernähren wollen. Dafür gibt es auch gute Gründe, dass man sich sehr zurückhaltend mit Fleisch ernährt. Aber gleichzeitig bleibt beispielsweise festzuhalten, dass eine ausreichende Eisenversorgung natürlich schon auch stark an Fleisch gebunden ist. Es muss nicht zwingend so sein, weil man auch andere Quellen für Eisen hat, aber die muss man sich dann tatsächlich auch erschließen. Und wenn man das nicht macht, kann man in eine Mangelsituation kommen. Das gilt auch für andere Dinge. Ich hatte das Beispiel Vitamin D aufgeführt. Auch hier wollen wir festhalten, dass wir ganz generell zwar viele Quellen für Vitamin D haben, aber wenn die Nahrung nicht entsprechend so zusammengesetzt ist, dass man diese Vitamin-D-Quellen erschließt, dann sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll.
Nina Ruge: Ja, und die neuesten Studien ergeben doch auch, dass gerade – ich bin nämlich selber Vegetarierin – dass niedrige Eisenspiegel – also die dürfen natürlich nicht auf sogenanntem anämisch Niveau sein – dass niedrige Eisenspiegel eigentlich gut sind für gesunde Langlebigkeit.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, ganz genau. Beim Eisen gilt das Prinzip „weniger ist mehr“. Wir brauchen eine ausreichende Versorgung, aber keinesfalls gilt hier das Prinzip „viel hilft viel“. Das wäre sogar der falsche Ansatz. Aber gerade diese Diskussion zeigt ja, wie differenziert man sich des Themas Nahrungsergänzungsmittel nähern muss. Es gilt hier nicht das Prinzip möglichst viel und von allem etwas, sondern ein differenzierter Blick, der dann die Ernährung sinnvoll ergänzt.
Nina Ruge: Was ist mit Menschen – und davon gibt es ja nicht wenige – die sich hauptsächlich von Junk-Food, Zucker und Fertiggerichten ernähren? Laufen die nicht ein Risiko?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, die laufen in mehrerlei Hinsicht in ein Risiko. Einerseits ist das, was Sie gerade beschreiben, nicht gerade eine Grundlage, um gesund alt zu werden. Das ist der eine Punkt. Also hier würde ich raten zu überlegen, ob man nicht die Ernährung umstellt. Aber wenn das schwierig erscheint und gar nicht möglich ist, dann sollten diese Menschen schon daran denken, sich auch mit Nahrungsergänzungsmitteln zu versorgen und den einen oder anderen Ausgleich zu schaffen. Hier bedarf es vor allem auch einer guten Beratung. Dazu gehört auch Ernährungsberatung. Ernährungsberatung ist ein wesentlicher Teil einer vernünftigen Ernährung. Und gerade bei Menschen, die sich so ernähren, wie Sie das beschrieben haben, da haben wir eklatanten Handlungsbedarf.
Nina Ruge: Ja, und gerade die werden ja üblicherweise nicht zur Ernährungsberatung gehen. Was würden Sie denen denn empfehlen. Sagen Sie mal ein paar Stichworte!
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, also erstes Stichwort wäre Umstellung der Ernährung.
Nina Ruge: Ja, klar.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Aber zweiter Punkt ist: Bitte sorgt dafür, dass bestimmte Dinge dann bei euch auch wirklich ausreichend vorhanden sind. Und ich könnte da jetzt viele Dinge aufzählen. Ich glaube nicht, dass es ein Problem gibt mit Vitaminen im Allgemeinen. Trotzdem muss man natürlich fragen, beispielsweise mit Blick auf die wichtigen B-Vitamine: Ist bei der Anwendung von so viel Junk-Food tatsächlich gewährleistet, dass eine ausreichende Vitaminversorgung da ist? Ist eine ausreichende Versorgung mit Magnesium gewährleistet? Ich hatte das Vitamin D angesprochen. Da gibt es schon viele Dinge, die man ansprechen muss. Und eines wollen wir auch nicht vergessen. Junk-Food heißt auch: keine Ballaststoffe. Wir wissen heute, dass Ballaststoffe sehr sinnvoll sind, und zwar in vielerlei Hinsicht. Da gibt es sehr viele wissenschaftliche Ergebnisse, die belegen: Da ist etwas dran.
Nina Ruge: Sie haben eben gerade Magnesium erwähnt. Das ist ja einer von vielen Mineralstoffen. Da muss man auch ein bisschen aufpassen. Viele nehmen ja viel von verschiedenen Mineralstoffen, Kalzium, Magnesium etc. Und da muss man wissen, dass die alle konkurrieren um dieselben Einlassstellen und Transportmechanismen in unseren Körper.
Prof. Schubert-Zsilavecz: So ist das. Ganz genau. Sie haben das sehr schön beschrieben. Wir müssen da wirklich aufpassen. Viel hilft nicht viel. Wir wollen hier an der Stelle die Bedeutung 2-wertiger Ionen ganz kurz beleuchten. Dazu zählt auf der einen Seite das Kalzium, von dem man lange Zeit der Auffassung war, man würde da möglicherweise eine Unterversorgung haben, nicht zuletzt mit Blick auf die Knochengesundheit. Kalzium ist ein wichtiger Bestandteil auch des anorganischen Zements der Knochen, sozusagen. Heute wissen wir: Kalzium ist nicht das große Problem, sondern Magnesium ist ein Problem. Und deshalb sollte man das Augenmerk auf eine ausreichende Versorgung mit Magnesium richten, weniger das Kalzium. Aber wir wollen auch festhalten, und das haben Sie zu Recht angesprochen, es macht keinen Sinn, sozusagen im Sinne eines „Schrotschusses“, viele Dinge gleichzeitig hochdosiert zu geben. Dann überfordern wir unsere Aufnahmesysteme. In diesem Fall sind es Kanäle, durch die diese 2-wertigen, bzw. manchmal auch 3-wertigen Ionen hindurch müssen.
Nina Ruge: Also wer viel Kalzium und Magnesium nimmt, läuft Gefahr, dass er letztlich zu wenig Magnesium im System hat, weil Kalzium eh schon genügend da ist.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, genau so ist es.
Wann kann eine Blutspiegelbestimmung sinnvoll sein?
Nina Ruge: Selen ist ja auch ein Mineralstoff. Es heißt ja, die Böden bei uns in Europa seien unterversorgt, also damit auch unsere Nährstoffe bzw. Lebensmittel. Wie sieht es denn da aus mit einer kollektiven Unterversorgung unserer Bevölkerung?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Also ich würde sagen, wir sollten auch den Selenspiegel im Auge behalten. Das heißt nicht, dass jetzt zwingend jeder seinen Selenspiegel bestimmen sollte oder den Vitamin-D-Spiegel. Aber Fakt ist: Auch beim Selen gilt es, dass eine ausreichende Versorgung wichtig ist, nicht zuletzt, um ein funktionierendes Immunsystem aufrecht zu erhalten. Es gibt noch viele andere Funktionen, wo das Selen eine ganz zentrale Rolle spielt. Das heißt, eine ausreichende Selenversorgung ist ein zentrales Thema.
Nina Ruge: Wer jetzt für seine Gesundheit ein bisschen tiefer in die Tasche greifen möchte und sagt: Na ja, aber vielleicht sollte ich doch mal meinen Blutspiegel an bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen messen lassen. Würden Sie das empfehlen? Und wenn ja, für welche Substanzen?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Das ist ein guter Punkt. Also, zunächst einmal müssen wir das nicht flächendeckend machen in jedem Alter. Aber ich sage mal: Eine postmenopausale Frau, die vielleicht in ihrer Familienanamnese auch schon festgestellt hat, dass es den einen oder anderen kaum zu begründenden Knochenbruch gab, da könnte man sagen, um sicherzustellen, dass eine ordentliche Knochengesundheit auch über längere Zeiträume erhalten bleibt, da erscheint eine Vitamin-D-Spiegel-Bestimmung sinnvoll. Die müsste allerdings dann auch wiederholt werden, um beispielsweise zu überprüfen: Wenn interveniert wird mit Vitamin D in Form von Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel, dass das dann auch einen Effekt hat. Es kommt immer auf die Situation an. Knochengesundheit ist ein gutes Beispiel, wo wir sagen können, ein 25-Jähriger muss jetzt keine Vitamin-D-Spiegel-Bestimmung machen, aber vielleicht eine 60-jährige Frau. Das ist sinnvoll. Oder ein 60-jähriger Mann. Osteoporose ist ja nicht nur ein Thema der Frau.
Nina Ruge: Ja, dann schauen wir uns doch überhaupt mal ältere Menschen an. Muss man da nicht ein bisschen mehr substituieren? Wenn ich mir überlege: Viele nehmen eben diese Magenschutzpräparate, viele nehmen Blutfettsenker, viele nehmen Diabetesmittel wie Metformin oder haben Resorptionsstörungen im Darm. Das heißt doch, dass da auch bestimmte Mangelsituationen auftreten können.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Absolut. Sie bringen es sehr schön auf den Punkt. Wir haben ja eine Situation, wonach die Menschen typischerweise in höherem Alter mehr Arzneimittel einnehmen. Ich nehme jetzt aus der Gruppe der genannten Arzneistoffe bzw. Arzneimittel eine Gruppe heraus, die sogenannten Magenschutzmittel, wozu auch die sogenannten Protonenpumpenhemmer gehören, die den Magen-pH-Wert beeinflussen und damit natürlich den pH-Wert in unserem Gastrointestinal-Trakt. Das heißt, die Situation verändert sich, auch was die Aufnahme von Nährstoffen betrifft. Da muss man in vielerlei Hinsicht natürlich aufpassen, dass man tatsächlich das bekommt, was man braucht. Das betrifft, wenn man Protonenpumpenhemmer nimmt, Magenschutzmittel, zum Beispiel das Magnesium. Aber nicht nur das Magnesium, sondern beispielsweise auch das Vitamin B12, von dem wir wissen, und zwar ohne Wenn und Aber, wie wichtig und bedeutsam es ist.
Nina Ruge: Also da macht es schon Sinn, den betreffenden Arzt zu fragen.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Absolut.
Fettlösliche Vitamine – nicht über das Ziel hinausschießen
Nina Ruge: Ja und eine Frage muss ich jetzt hier unbedingt noch stellen. Viele haben jetzt während der Pandemie – die Umsätze sind ja explodiert – hochdosiert Vitamin C, dann Selen, Zink, auch Vitamin D gekauft und in großen Mengen genommen. Hand aufs Herz: Wie finden Sie das? Bringt das etwas?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, das ist eine gute Frage. Es gab einen Nobelpreisträger Pauling. Er hat darauf geschworen, hohe Dosen Vitamin C zu sich zu nehmen. Nun, eine ausreichende Vitamin-C-Versorgung ist unverzichtbar und ein wesentlicher Bestandteil auch für ein funktionierendes Immunsystem. Ich halte fest, dass eine ausreichende Versorgung mit den Dingen, die Sie genannt haben, wichtig ist. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen, nicht über das Ziel hinausschießen. Ich glaube, dass die Effekte, die man hier erwarten kann, nicht so groß sind, wie das gemeinhin erwartet wird. Also, ich glaube, das bringt in der Regel nichts. Trotzdem halten wir fest: Natürlich, wenn die Ernährungssituation, die Zusammensetzung der Nahrung nicht so ist, dass gewährleistet ist, dass Vitamin C ausreichend zugeführt wird oder Selen oder andere Dinge, dann kann die Zufuhr sinnvoll sein. Aber gerade bei Vitamin C, würde ich sagen, ist die Gefahr, dass man unterversorgt ist, eher gering.
Nina Ruge: Und die Gefahr, dass man überdosiert, ist auch nicht so gegeben, weil Vitamin C wasserlöslich ist und dann einfach wieder ausgeschieden wird. Das gilt aber für andere Vitamine nicht unbedingt. Das heißt also, bei bestimmten Dingen, die man so einfach mal locker einnimmt, kann man auch überdosieren; bei fettlöslichen Vitaminen.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Zum Beispiel. Und da gab es ja auch beschriebene Fälle. Es ist ja nicht so, dass es diese Fälle nicht gibt, wo eine Überdosierung mit Vitamin D, mit Vitamin A tatsächlich auch manifest wird. Das müssen die Menschen wissen!
Nina Ruge: Ja, bei Vitamin A, D und auch E: Vorsicht! Dann gibt es das relativ neue Nahrungsergänzungsmittel Spermidin. Das ist ja ein Nahrungsmittelkonzentrat aus Weizenkeimen. Spermidin produzieren wir selbst. Das nehmen wir auch mit der Nahrung auf. Was halten Sie davon, das jetzt auch noch zusätzlich einzunehmen?
Wissenschaftliche Evidenz: die Bedeutung von Spermidin ist nicht zu unterschätzen
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ich halte im Grundsatz viel davon. Spermidin ist eines der interessantesten Moleküle, auch der biomedizinischen Wissenschaft. Wir verschaffen uns gerade momentan einen intensiven Überblick über die Bedeutung des Spermidins. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir einen Teil des Spermidins in unserem Körper produzieren. Ein Teil des Spermidins wird auch in unserem Darm gebildet durch das Mikrobiom und Spermidin wird durch die Nahrung zugeführt. Was wir feststellen, ist, dass die Spermidinspiegel im Alter abnehmen.
Was natürlich zu hinterfragen ist, ob das sinnvoll ist, wenn diese Spiegel abnehmen, weil wir auf der anderen Seite eine immer stärkere Evidenz – wissenschaftliche Evidenz – über die Bedeutung des Spermidins haben. Und ein Punkt ist, und den will ich an dieser Stelle wirklich ansprechen, neben anderen Punkten, dass das Spermidin ein wichtiger Faktor ist, der in unseren Zellen dafür sorgt, dass sozusagen die Müllabfuhr funktioniert, wenn ich das so beschreiben darf. Beziehungsweise, dass auch die Aufarbeitung nicht benötigter Bestandteile induziert wird: die Autophagie. Und dass aus diesen Abbauprodukten, diesen nicht mehr benötigten Produkten, Dinge bereitgestellt werden, um die Vitalität der Zellen zu erhalten. Das ist schon eine fantastische Substanz, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Gleichzeitig wissen wir beispielsweise, dass Spermidin auch Beiträge liefert zur Gefäßgesundheit durch Bereitstellung von Vorstufen, die ein ganz kleines Molekül zur Verfügung stellt, nämlich NO. NO ist ja eine Nobelpreis-Substanz. Sie sorgt dafür, dass die Blutgefäße elastisch bleiben.
Nahrungsergänzungsmittel aus gesicherten Quellen beziehen
Nina Ruge: Stickoxid, ja. Ich würde gerne gleich noch mal aufs Spermidin zurückkommen. Das Wichtige ist ja erst einmal, wenn ich ein Nahrungsergänzungsmittel kaufe – das gilt auch für Spermidin: Man muss ja aus dem Weizenkeim erst einmal den Wirkstoff vernünftig herauskriegen und in die Tablette hinein. Da muss er dann so drinbleiben, dass er, wenn ich ihn einnehme, in einer vernünftigen Dosierung – nämlich das, was draufsteht – in meinem Körper ankommt. Wer kontrolliert eigentlich, egal ob Spermidin oder andere Nahrungsergänzungsmittel, ob da wirklich eine gute Qualität drin ist und auch so viel wie auf der Verpackung steht?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Das ist ein guter Punkt. Also wir haben ja einen relativ leichten Zugang für die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, was den Markt betrifft. Und da spielt sehr viel Vertrauen einerseits eine Rolle, aber gleichzeitig natürlich auch Kontrollen. Die sehen aber natürlich ganz anders aus als beispielsweise bei Arzneimitteln, wo die Auflagen und Vorgaben sehr viel strenger sind. Und es braucht hier schon einen geübten und geschulten Blick auf das Produkt, um einschätzen zu können, ob die Qualität entspricht oder nicht entspricht.
Damit sind wir schon auch bei der Frage: Woher soll ich die beziehen? Und da habe ich auch eine klare Meinung. Ja, das sollten gesicherte Quellen sein, wo man auch durch Beratung gute Informationen über die Nahrungsergänzungsmittel bekommt.
Nina Ruge: Ich ahne schon, welches die beste Quelle ist, nämlich die Apotheke. Aber eins interessiert mich vorher noch. Ich kann also einfach mal selber losmixen, einfach bestimmte Wirkstoffe nehmen, sage, da ist die vorgeschriebene Höchstmenge nicht überschritten, melde das beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit an und verkaufe das einfach. Die Sicherheit des Produktes verantworte ich ganz persönlich und niemand kontrolliert. Ist das richtig?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Im Grundsatz ist es richtig, was Sie sagen. Es gibt hier Regularien, die sind auf europäischer Ebene angesiedelt. Es gibt Regularien, die auf Bundesebene angesiedelt sind, also auf Länderebene. Und es gibt natürlich auch die Aufsichtsbehörden, die auch hier Kontrollen machen. Aber grundsätzlich gilt, dass man vor diesen Produkten… da würde ich schon kritisch sein. Also wenn jemand sagt, ich misch da jetzt alles zusammen und bringe das einfach in den Markt – das geht ja gar nicht! Und B, würde ich auch davor warnen, nicht rationale Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen bzw. sie herzustellen. Auf Dauer haben diese Produkte keine Chance.
Austausch auf hohem Niveau in der Apotheke vor Ort
Nina Ruge: Na ja, also im Internet kursiert da ja so einiges. Und Sie sind der wissenschaftliche Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker, also wahnsinnig wichtig für die Kontrolle. Sie testen ja auch Produkte aus dem Internet, beispielsweise, aber auch aus Drogerien und Apotheken. Und da kursiert doch so einiges, was wahrscheinlich zu der einen oder anderen Überraschung geführt hat.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Also, da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Ruge. Das ist so. Und da möchte ich auch die Menschen und die Konsumentinnen und Konsumenten wirklich warnen, Nahrungsergänzungsmittel mit unklarer Herkunft oder mit unsäglichen Heilversprechen – was ja gar nicht erlaubt ist – zu kaufen. In aller Regel verbirgt sich dahinter sehr viel Unfug. Und dann will ich auch noch feststellen: Unsere Untersuchungen im Zentrallabor Deutscher Apotheker haben gezeigt, dass nicht wenige dieser Nahrungsergänzungsmittel aus unklaren Quellen auch Stoffe enthalten, die gar nicht enthalten sein dürfen. Auch da muss man aufpassen. Wir tun unserer Gesundheit nichts Gutes, wenn wir uns schlechten Produkten aussetzen.
Nina Ruge: Häufig sind die auch total überdosiert, oder in manchen Produkten ist auch gar nichts drin von dem, was da versprochen wird. Wo findet man sie denn jetzt? Sie haben es ja vorhin schon angedeutet. In diesem Dschungel an Angeboten – Internet, Drogerie, Supermarkt, Apotheke – wo finde ich verlässliche Produkte in diesem irrsinnig großen Angebot?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Also, die beste Bezugsquelle auch für Nahrungsergänzungsmittel ist für mich ohne Wenn und Aber die öffentliche Präsenzapotheke vor Ort. Nicht zuletzt deshalb, weil man da auch die Möglichkeit hat, in einem konkreten Beratungsgespräch sich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Apotheke auf sehr hohem Niveau auszutauschen. Ich will nicht verhehlen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass auch in Drogerien Nahrungsergänzungsmittel vorhanden sind, die absolut hohe Qualität aufweisen. Aber ich bin der Auffassung, dass es schon wichtig ist, im Kontext von Nahrungsergänzungsmitteln auch Beratung zu bekommen. Und die kann man sicherlich besser bekommen in einer Apotheke, in einer Drogerie, als beispielsweise in einem Supermarkt.
Nina Ruge: Und man muss, glaube ich, im Hinterkopf haben, dass die Kontrollbehörden – das sind ja Länderbehörden – relativ selten überhaupt zum Zuge kommen und wenn, dann ganz, ganz selten bei Internetprodukten. Das heißt, die werden sowieso kaum kontrolliert und man hat eine doppelte Unsicherheit. So habe ich das zumindest bisher wahrgenommen.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Genau so ist das auch. Vertrauen ist die eine Sache, aber Kontrolle ist die andere. Die brauchen wir auch. Und es ist so, wie Sie es beschrieben haben.
Nur ein guter Hersteller kann Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität gewährleisten
Nina Ruge: Nehmen wir doch mal das Thema Spermidin. Wie kann ich denn jetzt da sicher sein? Da gibt es ja auch verschiedene, viele verschiedene Anbieter. Dass ich ein sehr, sehr gutes und seriöses Präparat habe, denn der Weizenextrakt ist ja relativ leicht zerstörbar, durch Luft, durch Sauerstoff etc. Es muss ja wirklich gut extrahiert sein. Wie kriege ich jetzt einen seriösen Anbieter identifiziert?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ja, also Sie sprechen da etwas an, was mir sehr am Herzen liegt, nämlich dass auch bei Nahrungsergänzungsmitteln Technologie eine ganz entscheidende Rolle spielt. So wie es auch bei Arzneimitteln nachvollziehbar ist. Dass es nicht nur um den Wirkstoff geht, sondern auch um die Frage, wie der Wirkstoff in das eigentliche Arzneimittel kommt bzw. wie das Produkt formuliert ist, um sicherzustellen, dass Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität gewährleistet sind. Hochwertige Nahrungsergänzungsmittel brauchen auch eine hochwertige Technologie in der Herstellung. Spermidin ist eines der besten Beispiele im Bereich dieser Produktgruppe, weil… es ist nichts damit, dass man es sozusagen mit laienhaften Vorstellungen einfach in ein Produkt reinbringt. Hier braucht man sehr viel Know-how: bei der Gewinnung des Spermidins, bei der Formulierung als Produkt, um sicherzustellen, dass die Qualität gewährleistet ist. Aber auch – was ein ganz entscheidender Punkt ist – die Bioverfügbarkeit. Dass sichergestellt ist, wenn der Anwender dieses Produkt zu sich nimmt, dass er auch davon profitiert.
Und jetzt zu Ihrer Frage: Wie erkenne ich das? Sie erkennen das unter anderen daran, dass der Hersteller glaubhaft auch aufzeigt, dass er sich mit diesen Fragestellungen tatsächlich auseinandergesetzt hat. Hier kommt auch die Wissenschaft ins Spiel. Auch bei Spermidin braucht es gute wissenschaftliche Begleitung. Nicht nur bei der Frage: Wie wirkt es und was kann es? Sondern auch: Wie kann ich ein qualitativ hochwertiges Spermidinprodukt herstellen?
Nina Ruge: Und da ist es eben auch wichtig, dass man die richtige Dosierung pro Tag nimmt, damit sie überhaupt wirksam ist. Es gibt ja jetzt auch schon viele Produkte – das ist ja auch so ein Trend – Multi-Wirkstoff-Präparate. Dann kommt auch noch Functional Food dazu, also Lebensmittel, die angereichert sind mit Vitaminen, mit Kalzium, mit allem Möglichen. Auch für Spermidin gilt das schon. Das gibt es auch in Multi-Wirkstoff-Präparaten. Was halten Sie grundsätzlich davon, wenn man sich sagt: Ja, ich nehme mir jetzt nicht einzelne Wirkstoffe, die jetzt sehr bewusst, vielleicht zusammen mit meinem Arzt, ausgewählt worden sind, sondern ich nehme mal „one fits all“. Also so ein Produkt, das möglichst alles drin hat. Wie sehen Sie das?
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ich sehe das mehr als kritisch. Wir sehen auch hier so etwas wie Trittbrettfahrer-Effekte. Spermidin ist momentan in vielerlei Hinsicht in aller Munde, weil es gute wissenschaftliche Ergebnisse gibt. Und da denkt sich der eine oder andere Hersteller: Na ja, vielleicht ist das gar nicht so schlecht, dann geben wir auch noch ein bisschen Spermidin in unser Produkt rein. Ich halte davon gar nichts. Auch Nahrungsergänzungsmittel und vergleichbare Produkte sollten rational sein. Sie haben auch einen wichtigen Punkt angesprochen, Frau Ruge, nämlich den Punkt, dass Beratung hier eine zentrale Rolle spielt. Also wir sollten hier schon klug agieren und nicht – ich sage einmal, ja – uns Produkten aussetzen, wo wir von vornherein sagen können: Das taugt einfach nichts.
Nina Ruge: Ja, Sie haben vorhin auch diesen schönen Begriff der Schrotflinte verwendet. Also lieber Finger weg von der „Schrotflinte“. (Lacht)
Prof. Schubert-Zsilavecz: So ist es.
Nina Ruge: Herzlichen Dank, Herr Professor Manfred Schubert-Zsilavecz. Das war eine kleine, aber wunderbar hilfreiche Orientierungshilfe im undurchdringlichen Dschungel der Nahrungsergänzungsmittel. Danke nach Frankfurt.
Prof. Schubert-Zsilavecz: Ich danke Ihnen, Frau Ruge.
Nina Ruge: So, das war’s, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Das war die zehnte Folge unseres Podcasts Zellfrisch. Und natürlich geht es weiter. Die nächste Folge hören Sie im kommenden Monat. Ich freue mich auf Sie. Bis dann!
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